Die abgebildete Realität wird zur Wunschvorstellung Vor über 45.000 Jahren entstehen die ältesten Malereien auf der indonesischen Insel Sulawesi4. Die gemalten Tiere stammen vermutlich vom modernen Menschen. Die abstrakten Steinstriche und die realistischen Malereien gelten als älteste Hinterlassenschaften menschlichen Daseins. Der Zufall einer plötzlichen Veränderung des menschlichen Gens vor ca. 5 Mio. Jahren und einer weiteren zufälligen späteren Punktmutation5, lässt intensiveres Hirnwachstum zu. Im ersten Fall der Steinstriche hat der Schamane seine mystische Erkenntnis sinnbildlich dargestellt. Zwar hat der Zufall dabei eine Rolle gespielt, jedoch hat er es verstanden, seine Umwelt zu bewerten, zu verallgemeinern (zu abstrahieren) und durch Eingebung einzubeziehen. Im zweiten Fall wird angenommen, dass das abgebildete Wildschwein kultischen Zwecken dient oder zur Verständigung einer bevorstehenden Jagd. Links greifen zwei Hände nach dem Tier, die auf den Künstler-Täter oder den Jäger verweisen. Das gemalte Pustelschwein ist lebensgroß. Es misst etwa 140 cm Länge und ca. 50 cm Höhe. Nicht überliefert ist, ob das Wildschwein dem Homo sapiens Modell gestanden hat. Die unrealistische Farbigkeit spielt zufällig eine Rolle. Das Rotocker steht leicht zur Verfügung. Aber die Konzentration liegt in der wesentlichen Wiedergabe des Tieres. Als Beiwerk der Wände kommen solche Bilder weniger in Frage, da es in der Höhle teilweise finster gewesen ist und nach neuen Forschungsergebnissen der Mensch nur vorübergehend darin gelebt hat oder zeitweilig Schutz gesucht hat. Zudem gibt ein großes Feuer zwar viel Licht, jedoch wäre das Kohlenmonoxid lebensgefährlich gewesen. Eher sind diese Bilder als magische Beschwörung einer Treibjagd zu verstehen. |
Der archaische Mensch demonstriert mit den zwei urzeitlichen Beispielen kreativer Art außerordentliches Können. Er kann in symbolischen Zeichen denken und zeichnen wie bereits vor 73.000 Jahren, und in Bildern seit über 45.000 Jahren realistisch darstellen. Er hinterlässt Spuren seiner Ideen, die seine Umwelt ausdrücken. Im Laufe der Jahrtausende steigert sich die menschlich begriffliche Leistung, in dem es ihm allmählich möglich wird, sinnbildliches Denken, Fantasie und handwerkliches Können anzuwenden. Die stetige Gesamtentwicklung dieser Eigenschaften zu verknüpfen, führt zur geistigen und kreativen Revolution. Bleiben wir bei der Kunst und den drei Komponenten: Realität, Abstraktion und Zufall, (dem Zufall als Prinzip nicht nur schöpferischer Eingebung). Jene ungegenständliche Zeichnung, im ersten Fall, gilt als maßgebliches Zeugnis praktischer Verwirklichung von Dingen und Vorgängen der Begebenheit: Mit Hilfe unerwartet geformter wahrnehmbarer Mittel bestimmter Zeichen der Holzstäbchen fängt wahrscheinlich die Kunstgeschichte mit einem abstrakten Artefakt als Zweckbestimmung an. Der moderne Mensch der Steinzeit hinterlässt malerisch an einer zufälligen Höhlenwand vereinfachte Abdrücke der nachempfundenen Wirklichkeit. Spuren auf einem Leder oder einer Baumrinde sind zeitlich begrenzt. Im ersten Beispiel sehen wir mit der abstrakten Zeichnung eine Zweckbestimmung.Im zweiten Beispiel hat der Höhlenmaler seine Welt der Illusion als Wunschvorstellung erweitert, indem er begrifflich die Wirklichkeit abzubilden beginnt – über die ursprüngliche Zweckbestimmung hinaus. Ihr realistischer Nutzzweck wird für andere Bewohner wirklichkeitsnah. Was haben die Artefakte mit Abstraktion, Realismus und Zufall gemein? |
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