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Eines schönen morgens macht sich der Hase über die schiefen Beine des Igels lustig, woraufhin ihn dieser zu einem Wettrennen herausfordert.
Als das Rennen auf
dem Acker beginnt, läuft der Igel nur ein paar Schritte, hat aber am Ende der Ackerfurche seine ihm zum Ver-wechseln ähnlich sehende Frau platziert.
Als der sie-gesgewisse Hase heranstürmt, erhebt sich die Frau des Igels und ruft ihm zu: „Ich bin schon da!“. Dem Hasen
ist die Niederlage unbegreiflich, er verlangt Revanche
und führt insgesamt 73 Läufe mit stets demselben Er-gebnis durch…“
„Das Märchen kenne ich. Was willst du mir damit sagen? Auch im ZKM133 konntest du deine Besucher bei Führungen und Aus-stellungsbetreuungen mit Geschichten und Gleichnissen fesseln,
und welche Rolle spielen Quanten für die Kunstgeschichte?“
„Ja“, sage ich nachdenklich, „um Beispiel-loses leichter zu verdeutlichen, habe ich gerne Populäres herangezogen. Also, phy-sikalisch wäre das aber so zu erhellen.
In den 1930er Jahren hatte Einstein von „spukhafter Fernwirkung“ gesprochen, wenn sich zwei verschränkte Energieteilchen132 überlichtschnell zur gleichen Zeit miteinan-der vereinigten.
Dabei befanden sie sich gleichzeitig an mehreren Orten oder sie wa-ren über weite Entfernungen miteinander verbunden. Obwohl dies seiner Relativitäts-theorie - Licht bewegt sich immer gleich schnell in eine Richtung - widersprach.
Es ist das Phänomen der Quanten-Verschränkung.
Wie oben erklärt, bevor unsere bewusste Wahrnehmung ein Ding der Realität er-kennt, haben sich die Licht-Quanten in un-serem Gehirn mit einer unendlich hohen Geschwindigkeit verschränkt und die finale Wirklichkeits-Vorstellung via Thalamus er-möglicht.
Die Licht-Quanten „kommunizie-ren“ miteinander zwischen verlinkten Neu-ronen-Strängen, mit wechselseitigem Ein-fluss.“ „Der Igel ist immer schon da, wenn der Hase am Ziel ankommt.“ Oder:
Die In-formation der Realität ist immer schon da, wenn die Wirklichkeit im Bewusstsein er-scheint.“
„Oha“, meint die Kollegin erstaunt. „Jetzt wird es Science-Fiction.“„Da muss ich hef-tig widersprechen,“ sage ich.
Forscher haben in MRT134-Signalen des Gehirns Hinweise auf quantenmechanische Verschränkung gefunden.135 Ich habe nur schlussgefolgert…“
„…Aber,“ unterbricht sie lächelnd, „du hast das nachvollziehbar deutlich erklärt, ohne Details, wie es zu verstehen ist,“ spricht die Kollegin anerkennend. „Was alles umfasst deine Erläuterung?“
„Um mir die grundsätzlichen Fragen meiner eigenen These zu beantworten, mache ich, neben kunsthistorischen und philosophi-schen Verweisen, auch psychologische, neuronale und physikalische Positionen geltend.
Die erste Quantenrevolution, zu Beginn des 20. Jh.s, die von den kleinsten, unteilbaren Energieträgern handeln und unser Univer-sum prägen, sind ein Beispiel für eine mög-lichst höchste Abstraktion.
Für die Kunstanalyse wäre die Quantenoptik, die die Wechselwirkung zwischen Licht und Materie in allen Farbnuancen untersucht, direkt von Bedeutung.“
In diesem Augenblick meldet sich mein Smartphone mit der Melodie My Generation der britischen Rockband The Who. Ich schaue auf das Display, auf dem eine co-dierte Nachricht von Mr Sajber geschrie-ben steht. Ich sage: „Da muss ich dran.“
Er teilt mir mit, dass er ein weiteres Ereignis aufgespürt hat, das für meine Erzählung in Frage kommt. Und soeben erhalte ich die Quanten-Info eines weiteren bedeutenden „Bewegenden Momentes.“
„Die Kollegin unterbricht mich jedoch:
„In-wiefern spielen konkret deine bisherigen Überlegungen eine Rolle für deine Theorie der drei Komponenten bzw. schließlich für die Kunstgeschichte?“ Und schaut nervös auf ihre Uhr und erinnert mich drängend:
„Meine Führung durch eine ZKM-Ausstellung fängt bald an.“
„Gut, in aller Kürze:“