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Was ist generell neu am Menschenbild der Zei-tenwende im 14. Jh.? Welchen Einfluss hat es auf die bildende Kunst?
Während das Menschenbild der Antike von der Sklaverei und den gesellschaftlichen Ungleich-heiten geprägt ist und der Mensch als abhängig von Gott oder von den Göttern erscheint, kommt im Christentum der Sünde, etwa im Verhältnis zum freien Willen, eine große Bedeutung zu.
Sogar bis etwa 1500 ist das europäische Mittel-alter weithin von Glauben und Aberglauben ge-prägt. Der Mensch glaubt durchweg an das ei-gene Schicksal aus Gottes Hand und hat Angst vor der Hölle. Der Handel mit dem Orient, Kreuzzüge und Kriege, bieten neben antiken Überlieferungen Quellen der Verbreitung von Wissen und Erfindungen. Die Herrschaft des Adels wird als gottgewollt dargestellt, was außerdem Ulrich von Hutten kritisiert, die Ungleichheit zwischen den Menschen wird meist hingenommen.
Der Humanismus bricht im 14. Jh. mit der rückständigen Weltvorstellung. Im Zentrum steht zunehmend der Mensch, das Individuum. Besonders der Renaissance-Humanismus, der von Petrarca angeregt wird, verspricht: Eine optimistische Einschätzung der Fähigkeit der Menschheit, zu einer besseren Daseinsform zu finden. Dieser Humanismus hat in Florenz ein herausragendes Zentrum und breitet sich trotz einer Pestepidemie (1347 bis 1352) im 15. und 16. Jh. über den größten Teil Europas aus.
Unerwartet hat Mr Sajber ein Déjà-vu:
„Maestro Giotto, warum haben wir heute den Himmel blau gemalt?“, fragt ihn sein neuer Schüler. „Weil der Himmel wirklich diese unend-liche Naturfarbe ausstrahlt und das Bild dadurch raumtief wirkt“, antwortet Giotto.
„Und jetzt schlaf, morgen haben wir einen großen Auftrag, da zeige ich dir wie Formgestaltung einen Schauplatz in Szene setzt. Und geh auf den Markt, kaufe mir junge Feigentriebe und Eier“.
„Si Maestro“, sagt sein Schüler am anderen Ende des Zimmers und freut sich auf das Frühstück am nächsten Morgen. Allerdings kennt er einen Grütze-Brei aus diesen Zutaten bisher noch nicht. Er dreht sich in seinem Bett auf die ande-re Seite um, glücklich wieder etwas Neues ge-lernt zu haben und schläft ein.
Tatsächlich hat Giotto aus dem Saft junger Fei-gentriebe Bindemittel gewonnen. Es hat ihm als hydrophober Oberflächenschutz und das Eigelb zur Leuchtkraft der Farben für seine Freskoma-lerei gedient. Damit gilt er als Erfinder dieser Technik – darüber später mehr.
Von der sozial organisierten Illusion
zur realistischen Darstellung
Die humanistische Weltanschauung ergreift die KünstlerInnen.62 Zur religiösen Transzendenz gesellen sich Ideen individueller Immanenz.63
In der bildenden Kunst überwiegen zeitnah, neben biblischen Darstellungen, Themen des höfischen Lebens, Jagdszenen und Porträts traditioneller Art: Herrscher, Feldherren, Gelehrte und Künstler. Weitblickend spielt die künstlerische Eigenart eine immer größere Rolle.
„Giotto nun war es, der sich auf das Gegenwärtige und Wirkliche hin ausrichtete... das Weltliche gewinnt Platz und Ausbreitung, wie denn auch Giotto im Sinne seiner Zeit dem Burlesken neben dem Pathetischen eine Stelle einräumte“ (Hegel).64
Mit Hilfe von Mr Sajber sind wir wieder in der Lage, einem beachtenswerten Gespräch zu lauschen. Dieses Mal zwischen Giotto, Petrarca und Dante.65 Zeitlich konnten sie sich tatsächlich getroffen haben.
Zu Gast bei Giotto
Petrarca:
„Signore Giotto, bei meinen Reisen besuche ich oft Kirchen und Klöster und bewundere deren künstlerische Ausschmückungen als Wandmalereien. Fast allen gemeinsam sind die wuchtigen Steinmassen, zwischen denen die Fresken demonstrativ Heilige zur Schau bringen. Diese Figuren verharren meist mit ihrem Auftreten in einem zeichnerischen Flächenhabitus. Sie zeigen feste Umrisslinien und dabei kaum Raumtiefe. Oft zu sehen ist eine Symmetrie, auch die der Bildgegenstände. Figurengebärden bekunden reichlich Gottesherrschaft und mahnen zum Verehren, Fürchten und Erdulden.“
Signore Giotto, Ihr bisheriges Gesamtwerk be-handelt christliche Themen. Es unterscheidet sich aber von den bisherigen Kirchenausma-lungen, worin Ihrer Ansicht nach?“