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Der Papst erregt:
„Es gibt kein Paradies und neues Menschenbild auf Erden, als das, was Gott erschaffen hat! Ora et labora!“, „Amen!“
Petrarca erinnert an Dante Alighieri:
„Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben: die Sterne der Nacht, die Blumen des Tages und die Augen der Kinder.“43
Von Hutten widerspricht dem Papst in seiner rebellisch leidenschaftlichen Art:
„Was für ein Hirte deiner Gläubigen bist du, dass du die Menschen wie Unfreie betrachtest? Sie sind Geschöpfe Gottes und nicht dein Eigentum. Du lässt sogar deine eigenen Glaubensbrüder verfolgen.“
Es droht ein Streit. Von Hutten hält seine Rechte am Knauf seines Schwertes. Jederzeit zum Kampf bereit. Er ist der erste Reichsritter und Vagabund, obwohl ihn sein Vater in ein Kloster schickte, wo er Mönch werden sollte, da er zu schmächtig war. An deutschen und italienischen Universitäten hat er Sprachen, Jura und Literatur studiert.
Petrarca bleibt aufmerksam, lenkt sich aber mit angenehmen Gedanken ab, indem er im Geiste ein neues Gedicht an seine angebetete Laura verfasst.
Erasmus ist verwundert über die Uneinsichtigkeit des Papstes, der die generelle Bedeutung der Neuen Zeit zurückweist.
Ruhig und überlegt setzt Petrarca nach kurzer Pause die Unterhaltung fort:
„Meine Beschäftigung mit der Geschichte lehrt mich, antike ehrwürdige Beispiele auf die Gegenwart anzuwenden mit heutigen Erkenntnissen. Diese ermuntern uns Gelehrte für unser Handeln. Dabei interessiert mich nicht, unter welchen Umständen ein Ereignis damals stattfand, sondern dessen schriftliches Zeugnis selbst. Wir als Menschen mit freiem Willen stehen als Geschöpfe Gottes im Mittelpunkt des Weltgeschehens. Im Gegensatz zu Ihrem, Eure Heiligkeit, mittelalterlichen Weltbild, in dem Gott als Weltenlenker fest verankert ist.“
Dieser Perspektivenwechsel Petrarcas bedeutet die Wende der Geschichtsschreibung im Besonderen.
Petrarca: „Bereits Protagoras stellte fest: „Der Mensch ist das Maß aller Dinge, …“44
Der Papst, kreidebleich, wirkt wie eine mittelalterliche Figur aus Thassos Marmor. Noch nie hat ihm jemand mit solchen Worten seine Weltvorstellung bloßgestellt.
Erasmus spricht: „Denn die Wahrheit besitzt eine natürliche Macht, zu ergötzen, wenn ihr alles Verletzende fehlt.“ 45
Der Papst hat sich wieder gefangen und lenkt erneut ab:
„Die Osmanen sind auf dem Vormarsch, Byzanz ist in großer Gefahr. Menschen fliehen zu uns. An Philosophie, Kunst und Kultur und schon gar nicht an Wissenschaft ist jetzt, zu denken. Es fehlt gerade noch, dass ein Forscher sagt, die Erde sei rund und die Sonne sei der Mittelpunkt des Universums.“
Wieder ist es von Hutten, der knackig antwortet: „Hoc venit“ (lat. für „Das kommt noch“). „Die Zeiten der Entdeckungen sind nicht aufzuhalten (bes. zw. 1415 und 1531).“
Erasmus entgegnet dem Papst:
„Ich glaube, die Christen müßten statt jener schwerfälligen Soldateska,46 deren sie sich schon lange ohne Erfolg bedienen, die wortreichen Scotisten47, die starrköpfigen Occamisten,48 die unbesiegbaren Albertisten49 und überhaupt die ganze Streitmachder Sophisten50 gegen die Türken und Sarazenen51 ins Feld schicken.“52
Der Papst erwidert sofort:
„Die Welt ist ein Chaos, nur ich vermag sie so zu gestalten, wie sie gottgewollt ist.“