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„Ich selbst“, sagt mein Freund, „male in der art informel. Was ist darüber zu sagen?“
„Informelle Kunst, Tachismus oder lyrische Abstraktion, ist verwandt mit dem Abstrakten Expressionismus, dessen Hauptströmungen Action Painting und die Farbfeldmalerei sind. Ihre Bilder entstehen, wie der Name sagt, formlos oder zwanglos, oft spontan. Aus dem Grunde gibt es keine einheitliche Ausdrucks-weise. Sowohl gegenständlich als auch abstrakt, sind diese zu weitläufig von mime-tischer oder geometrischer Darstellung. Ihr Prinzip der Gegenstandslosigkeit befindet sich im „Spannungsfeld von Formauflösung und Formwerdung“. Wichtig dafür wäre das Werk PINATUBO, 1992 von Emil Schumacher (1912-1999)“.
„Und wie ist das bei Gerhard Richters Rakel-bildern?“, ist die nächste Frage.
„Nun, Richters (*1932) großformatige Werke vereinen in sich geometrische als auch nicht-geometrische Kompositionen. Diese Gemälde sind abstrakte Sinnbilder unserer globalisierten Welt unbedingter kultureller Verschiedenheiten. Durch seine mannigfaltige Formensprache und hohe Qualität vermag er seine Betrachter zu überraschen, zu begeistern oder zu verwirren. Seinen Hang zum Gigantismus gleicht er aus durch Perfektionismus (Stil), Fleiß und be-scheidenem Auftreten. In diesen Werken spüren wir, wie er den Zufall herausfordert, dieser scheinbar organisiert ist. Die Nachfrage nach Richters Werken spiegelt sich seit 18 Jahren in der Rankingliste der gefragtesten Top-100 der Gegenwartskünstler wider. 2021 belegt er noch immer den ersten Platz“.
„Bisher sprachen wir nur von der Malerei“, sagt mein Begleiter. „Gibt es ein Beispiel für eine abstrakte Plastik?“
„Dazu kann ich Tony Craggs (*1949) Plastik „Zum Licht“, 2020, ca. 7 m hoch anführen. Sie verbindet Abstraktes und Gegenständliches. Eine wie unkontrolliert und aus der Erde hervorquellende Fackelsäule auf dem Campus Grifflenberg der Bergischen Universität Wuppertal strebt vital blätterartig und feuerrot nach oben. Tänzelnd
überwindet sie gewissermaßen die Material-schwere der Gravitation.
Eingefügt zwischen Bäumen und Architektur, wo sich ihr Licht spiegelt, strahlt sie und entfaltet aufblühende Daseinsfreude“.
„Jetzt machst Du mich noch mehr neugierig. Wie kannst du mir die Fotografie oder die Medienkunst erklären?“
„Fotografie als Massenmedium wird bereits im 19. Jh. als ein häufiges Instrument zur Wieder-gabe von Wirklichkeit genutzt. Eine Kamera erzeugt Abbilder der lichtreflektierenden Dinge der Umgebung. Bei der analogen oder digitalen Kamera wird der über Lichtwellen entmate-rialisierte Gegenstand auf einen Film (Analog-fotografie) oder Sensor (Digitalfotografie) im Kameragehäuse gebündelt, rematerialisiert und das Licht-Bild gleichzeitig gespeichert. Im weiteren Prozess können davon Abbilder gemacht werden. Bei bewegten Bildern wird vom Film gesprochen. Von gegenstandsloser Wirklichkeit ist auch bei anderen Medien-künsten zu sprechen. Stets werden reale oder erfundene Dinge entmaterialisiert und dann kunstfertig rematerialisiert. Ein weiteres Beispiel ist: virtuelle Realität“.
„Dann gibt es wohl aller Wahrscheinlichkeit nach eine Kunst, die auf dem Zufall basiert?“, fragt er.
„Ja“, sage ich. „Sie heißt Aleatorik14. Allerdings wirkt bei dieser künstlerischen Arbeit dennoch der sogenannte Schmetterlingseffekt. „Für komplexe Systeme gilt damit: ‚Kleinste Ur-sachen haben höchst unterschiedliche Wirkung‘ und ‚Kleinste Ursachen können größte Wirkung haben.‘“15 Das heißt, die Komplexität unserer Welt erlaube den Zufall und die Entwicklung von Neuem und Überraschendem (Harald Lesch)“16.
Wie lässt sich nun die Moderne laut Überblick des „Kunst-Komplexes“ aus der Sicht eines Zeitreisenden objektiv betrachten?